Die Schweizer Männer - Zwangsbewaffnet und ewig gestrig?

Die Rundschau von heute zeigte es deutlich: Wenn es um die Waffe im Haus geht, kommen sehr merkwürdige, wenn nicht gar völlig irrationale Argumente auf den Tisch.

SVP-ler Roland Borer sagte, man dürfe nicht 120'000 Milizmilitärs zu Verbrechern machen. Macht ja niemand. Dennoch kommt dieses schwache Argument mangels besserem immer wieder.

This Jenny, ebenfalls SVP, aber irgendwie präsenter, sagte vor Ort bei der Bushaltestelle, dass er die Initiative gegen Waffen zuhause, obwohl von links, sofort unterschreiben würde.

Auf die ganz konkrete Frage, ob die nicht vorhandene Waffe einen konkreten Tod verhindert hätte, was man eigentlich logischerweise mit Ja beantworten müsste, kommt die Antwort, man müsse an der Basis arbeiten, die sei halt brutal oder die Eingewanderten hätten Gewaltindoktrinationen. Da müsse man ansetzen. Stimmt. Aber die zurückgehaltene Waffe hätte einen Tod verhindert. Ob, wann und wie ein Täter sich dann doch noch eine Distanzwaffe besrgt hätte, kann niemand, weder Gegner noch Befürworter wissen. Und beiden ist doch klar, dass sie niemals voraussagen können, wie ein Mensch seinen emotionalen Druck ablassen und was er dazu benutzen wird. Ist die Waffe da, wird sie fast mit Sicherheit benutzt, wenn alle Dämme brechen.

Die Frage reduziert sich eigentlich ganz einfach auf dies: Was ist so gewichtig und rechtfertigend, Waffen zu hause zu lassen, als Missbrauch mit Todesausgang zu verhindern? Dies wurde schlüssig noch von keinem Befürworter beantwortet.

Bundesrat Blocher sagte, dass man ja die Autos auch nicht verbiete nur aufgrund eines schweren Unfalles. Hinkt meines Erachtens, denn das Auto ist nicht primär Tötungsinstrument und vor allem auch nicht so portabal, und der Umgang mit Autos ist allen mittlerweile geläufig, sowohl Fahrern als auch Fussgängern. Die Waffe hingegen ist wohl mindestens der Hälfte der Bevölkerung unbekannt oder zumindest nicht alltäglich, so dass sie sich nicht schützen muss vor einer andauernden Konfrontation mit ihnen.

Natürlich, die Waffe ist neutral. Aber ihre Verfügbarkeit ist das Problem, und um nichts anderes sollte diskutiert werden, nicht um Traditionen, nicht um Bereitstellungszeit.

Was soll die Waffe zuhause, die Munition im Zeughaus, der Arbeitsplatz weil pendelnd 30-50 km weiter weg? Kommt der einzige - gemäss Argumentation der Befürworter noch halbwegs nachvollziehbare - sofortige Einsatzbedarf, so müssen also Credit Suisse City und UBS Dorf ihre 5-stellige Bevölkerungen zuerst ins Zeughaus und dann nach Hause und dann an den Einsatzort schicken? Meines Erachtens eine klassische Schildbürgergeschichte. Soll das effizient sein? Wo dann womöglich die Wege zu all diesen Depots ja des Einsatzgrundes wegen nicht mehr benutzbar sind?

Krass dann noch die Erfahrung von Prof. Jositsch, der seine Waffe freiwillig ins Zeughaus bringen wollte, etwas, das gemäss Borer gehen sollte: Ihm wurde nach vorerst erfolgreicher Abgabe ein Brief geschickt mit der ausdrücklichen und unmissverständlichen Forderung, seine Waffe wiede rabzuholen und zuhause zu lagern - er sei dazu von Gesetzes wegen verpflichtet.

Braucht es Traditionen, die von stilisierten Heldenkämpfen herrühren, die so stark sind, heutige Realitäten zu ignorieren?

Kommentare (Kommentar-Moderation ist aktiv. Ihr Kommentar erscheint erst nach Prüfung.)
Henri's Gravatar Tja, Martin,

es ist immer leicht, so zu argumentieren wie Du das tust.

Jeder Tote ist ein Toter zuviel - ein Totschlag-Argument - was wollte man dagegen sagen?

Etwa, dass wir für unsere Freiheit einen Preis zu zahlen bereit sein müssen?
Weil Freiheit immer ein unkalkulierbares Restrisiko beinhaltet, und dieses Risiko aus heiterem Himmel Schlimmes bedeuten kann?
Lässt sich schlecht verkaufen, das.

Da ist es einfacher zu sagen, dass wir einfach alles wegsperren müssen, was Gefahren birgt:
Hunde, Waffen, ehemalige Straftäter (die haben ja auch Rückfälle, darum müssten wir die alle sowieso lebenslänglich verwahren), Autos, Sport (vor allem Bergsteiger und so, denn die bringen ja oft die Retter in Gefahr) und und und.

Weisst Du, wenn diese junge Frau meine Tochter gewesen wäre, oder meine Freundin, würde ich so reden wie Du, nein, noch viel extremer - das dürfte ich dann aber auch, als Betroffener hätte ich jedes Recht dazu - wir anderen aber sollten uns verpflichtet fühlen, die Dinge mit Objektivität und Augenmass zu betrachten.

Wenn wir nämlich zwei Schritte zurücktreten, sehen wir paar Dinge mehr.

Da kommt also ein Rekrut, ein Schweizer chilenischer Abstammung (interessante Formulierung, nicht?) von der RS nach Hause, geht wieder mit der Waffe raus und erschiesst jemanden.

Findest Du dieses Verhalten so normal, dass Du es angemessen findest, auf Grundlage dieses Vorfalls allen Rekruten die Waffe wegzunehmen? So normal, dass es ein anderer Rekruten morgen schon ebenfalls tun könnte?

Ich nicht.

Ich meine, der junge Man war voll durchgeknallt, irr, wie immer man das nennen mag.
Die Gründe wissen wir derzeit nicht, also ist es müssig, darüber zu reden.

Was mich sehr erstaunt ist, dass er als Vorbestrafter (Brandstiftung und Körperverletzung) vom Militär ein Gewehr in die Hände bekam - zivil hätte er als Vorbestrafter keines kaufen können.
Da scheint etwas nicht richtig zu funktionieren, und da müssen wir ansetzen.


Was mich auch erstaunt:
In Tele-Züri wurde vom ersten Moment an betont, er sei ein Schweizer chilenischer Abstammung.
Im SF-DRS, dessen politische Ausrichtung bekannt ist, war konsequent nur von einem "Schweizer" die Rede.
Das ist doch interessant, sowohl die Unterschlagung dieser Tatsache durch SF-DRS, wie auch die Bedeutung, die dieser Aspekt bei einem selbst sofort bekommt; heute wissen wir, dass er als Kleinkind adoptiert wurde.
Was das nun weiter bedeutet, wissen wir noch nicht.


Zu Deinem Argument, dass er ohne dieses Gewehr diese Tat nicht verübt hätte.
Ja sicher, kein Gewehr, kein Schuss.
Allerdings, da gemäss diesem Bericht des BFS (http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/p...)
über 60% aller Morde nicht mit Schusswaffen, sondern mittels erstechen, erschlagen, erwürgen und vergiften usw begangen werden, ist zumindest die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass er in seinem Wahnsinn eine andere Waffe gefunden und eingesetzt hätte, und seien es die eigenen Hände.
(Ich was selbst erstaunt, wie oft gemäss diesem Bericht derart "nahe" Waffen eingesetzt werden).

Aber Du hast recht, das wissen wir nicht - ob er eine andere Waffe gewählt hätte.

Was mich an dieser Diskussion so stört ist, dass der Eindruck vermittelt wird, man müsse nur die Schusswaffen einziehen, und alles sei gelöst.
Aber: welche Schusswaffen?
Die Militärwaffen, oder alle Waffen?
Und beinhalten "alle Waffen" auch die illegalen Waffen?
Wohl kaum.

Und was ist mir den Waffen der Jäger? Auch einziehen?

Aber mit welchen Schusswaffen werden wiewelche Verbrechen ausgeübt?
Nun, wieviel Verbrechen mit den Militärwaffen ausgeübt werden, weiss man nicht, da die Polizeien dies bisher nicht der Statistik zugeführt haben; bei den Suiziden weiss man es, und es sind viel weniger als man denken würde.
Und Du kannst zB. davon ausgehen, dass diese nächtlichen Schusswechsel in den einschlägigen Quartieren in Zürich nicht mit den
Militärwaffen ausgeführt werden, und auch einige andere Schüsse aus nicht-militärischen Waffen abgegeben werden.

Und ich denke, Du unterschätzt ganz massiv die Bedeutung von Traditionen - deren Rückgang merkt man jeden Tag, wenn man in die S-Bahn sitzt - vieles dreckig, vandalisiert, die Leute sitzen autistisch da, belegen zwei oder drei Sitze, selbst wenn der ganze Zug voll ist - Anstand, Rücksichtsnahme usw. ist ebenfalls Tradition, genauso wie das Gewehr (des Vaters oder das eigene), der Turnverein usw usw.

Das Problem beim fehlenden Verständnis für diesen Aspekt von Tradition könnte ja auch sein, dass ja mittlerweile nur noch rund 40% der Männer diensttauglich sind, und der Rest lernt den sachgemässen und verantwortungsvollen Umgang mit Waffen natürlich nicht (mehr).
Wobei dies genau bei diesem jungen Rekruten versagt hat - sehe ich ja auch, und das muss untersucht werden.

Tradition hat aber auch etwas mit nationalem Selbstbewusstsein und Identität zu tun - das ist per se nichts Schlechtes, sonders es sorgt unter anderem dafür, dass die Leute Zivilcourage und Widerstand gegen einen (anmassenden oder aus dem Ruder laufenden) Staat herausbilden können,

Mit Blick auf die Geschichte wissen wir, wie wichtig dies ist.


Nachtliche Grüsse

Henri
# Erfasst von Henri | 29.11.07 23:36
Martin's Gravatar Hi Henri, danke für Deinen ausführlichen Kommentar.

Ich finde nicht, dass ich Traditionen unterschätze. Das ist es ja grad: Wenn mir einer sagt "Das hat mein Grossvater schon so gemacht, mein Vater, also auch ich", so ist das ein Satz, um unreflektiert damals Passendes in der jetzigen Situation anzuwenden. Es gibt aber niemals zwei identische Geschehenisse, jedes ist anders, wenn auch nur minim oder halt nicht sofort vom Tagesbewsstsein her unterscheidbar. Wer also so einen Satz hernimmt, erregt bei mir sofort die Vorsicht, denn möglicherweise wird hier eine alte Guideline als Ersatz für eigenes Denken, Neuanpassung der Strategien benutzt. Also aus Faulheit, Desinteresse etc. etc.

Das gilt für alle Menschen. Mir ist es grundsätzlich egal, ob Schweizer, Amerikaner oder Chilene. Sobald einer sich auf die Tradition bezieht, hat es meistens mit Realität nichts mehr zu tun.

Sauberkeit, Anstand, Respekt sind meines Erachtens keine Traditionen, sondern vor- und weitergelebte Lebensart. Vandalisierte S-Bahnen sind kein Zeichen von Traditionsverlust, sondern von Unsicherheit und Ausdruck von Emotionaler Unausgeglichenheit, Ohnmacht, Sinnlosigkeit.

Du nennst den Rekruten irre. Ok. Aber das war er zuvor nicht unbedingt. Das Problem der Nachbehandlung solcher Ereignisse gerade in den Medien ist, dass nur der weiteren Ausquetschung der News wegen nachgeforscht wird. Was kann man da wirklich über den Menschen erfahren?

Ich bin übrigens kein Waffengegner. Ich hatte früher auch Kontakt im waffenfreundlichen Aargau zu Waffenfäns, und es machte mir auch Spass in der Kiesgruppe mit der halbautomatischen Winchester oder dem grossen Magnum etwas rumzuschiessen.

Doch ich bin nicht so verwegen zu behaupten, dass ich für alle Zeit wüsste, wie ich handeln würde in einer emotional nicht mehr kontrollierbaren Situation - wenn da eine Waffe zur Verfügung stünde. Um mich selbst und andere zu schützen, finde ich die präventive Entfernung der Gelegenheit ein gutes Mittel.

Natürlich, wie bei Hunden, Autos, und eben Waffen gilt, dass der Mensch sie benutzt. Wie würdest Du denn also unter Anbetracht dessen, dass Du genau weisst, dass es so und so viele unstabile Personen gibt, entscheiden, wem Du ein solches Gefahrenpotential für andere in die Hände gibst und wem nicht? Was denkst Du über Autoraser? Die sich völlig überschätzend zum Herr über das Leben anderer aufschwingen? Ich meine, es ist jedem Autofahrer ganz genau klar, was gefährlich ist. Und wenn man sich der Grenze der Beherrschbarkeit nähert, so ist das eben genau der Kitzel, aber wissen tun sie's. Und wenn's dann knallt? Unbeteiligte dabei umkommen?

Der Präventionsgedanke sagt, dass man dann halt alles Gefährliche entfernen soll. Finde ich lange nicht immer passend. Aber wenn die Auswirkungen irreversibel sind, ist dann die Prävention nicht ev. doch das beste Mittel?

Wie auch immer.

Ebenfalls nächtliche Grüsse
# Erfasst von Martin | 30.11.07 00:23
civilcourage's Gravatar "Krass dann noch die Erfahrung von Prof. Jositsch, der seine Waffe freiwillig ins Zeughaus bringen wollte, etwas, das gemäss Borer gehen sollte: Ihm wurde nach vorerst erfolgreicher Abgabe ein Brief geschickt mit der ausdrücklichen und unmissverständlichen Forderung, seine Waffe wieder abzuholen und zuhause zu lagern - er sei dazu von Gesetzes wegen verpflichtet."
Mir erging es gleich. Habe aber einen Rekurs verfasst, der momentan beim Regierungsrat des Kantons Zürich liegt. Alles Weitere unter http://waffendeponierung.wordpress.com
# Erfasst von civilcourage | 13.09.08 11:27
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