Perry Rhodan wird 50 - er war Teil meines Lebens

Heute wird Perry Rhodan, die Figur, 50 Jahre alt. Er gehört damit zu den ältesten Science-Fiction Geschichten. 1961 in Deutschland als Gegenpol zu den Figuren des realen kalten Krieges entworfen, schaffte der amerikanische Mondlandepilot es in den Romanen, die Machtblöcke der Erde zu einigen, indem er nach einem Fund eines havarierten Raumschiffs einer ausserirdischen, degenerativen und an der Menschheit überhaupt nicht interessierten Rasse auf dem Mond deren Technik mit auf die Erde zurückbrachte, dort dem nationalen Block USA abschwor und die unabhängige Dritte Macht in der Wüste Gobi aufbaute. Damit fing es an. Das Unternehmen StarDust.

Ich kam zur Serie, die derzeit über 2600 einzelne Folgen, sprich Schundroman-Heftchen, hat, so in meiner Jugend im Gymnasium. Mein damaliger Schulfreund Thomas brachte irgendwann Heftchen mit, die „so mit Astronauten und komischem Zeug" zu tun haben. Ich weiss nur nicht mehr, wieso er mir die antrug. Vielleicht, weil ich damals Mondbasis Alpha-1 und Raumschiff Orion schaute, mein Musikgeschmack daher an der Titelmelodie von Alpha-1 orientiert war. Thomas war sehr musikinteressiert, etwas, was sich trotz seinen Anstössen bei mir erst viel später entwickelte. Er spielte mir oft auf seiner grossen Kompaktanlage Musik aller Arten vor, so wusste er auch, dass ich Jean-Michel Jarre mochte, weil ja dessen Oxygène die Titelmelodie von Alpha-1 war.

Ich assoziierte damals schon den spacigen Sound von JMJ mit Raum, Platz, Weite, Weltall. Und diese Räume waren damals Ziele meiner Sehnsüchte. Vielleicht war diese, Thomas bekannte musikalische Verbindung die Fügung, die ihn mir diese Perry Rhodan Heftchen in die Hände spielen liess, von der ich zuvor nichts wusste. Ich wusste damals auch noch nicht, dass ich derart tiefe und starke Sehnsüchte nach Raum hatte. Doch diese noch unbewussten Strömungen trieben wohl die Fügung voran.

Es war nicht mehr die erste Auflage, sondern bereits die dritte, denn die Serie startete ja vor meiner Geburt. Als ich diese beiden Heftchen bekam, ich glaube es waren Nummern im 20er Bereich, war es um mich geschehen. Fortan hatte ich ein Ritual, nachdem ich endlich herausgefunden hatte, wer in unserem Dorf diese Heftchen, eben oft als Schundromane abgetan, im Kiosk führte. Ich war damals ja eben im Gymnasium in Zürich und fuhr da immer mit dem Zug hin. Am Samstag kamen die neuen Heftchen raus. Also kaufte ich mir samstags nach der Schule das Heftchen und schloss mich daheim in mein Zimmer ein, legt mich aufs Bett und las die 64 Seiten in einem Rutsch durch.

Beim Lesen war mein Geist nicht mehr im engen Kinderzimmer, nicht mehr in der unverständlichen und irgendwie nicht so anmachenden Welt des pubertierenden Körpers – er war in den Bildern, dem Kopfkino, das die Autoren mit Beschreibungen von Einigung der Menschen, gemeinsamen Zielen, Erforschen des Alls, Kontakt mit Unbekannten, und eben dem Reisen durchs Weltall in mir entfachen konnten. Fast jedesmal, wenn ich das Heftchen fertig hatte, ich mich also wieder aus der geistigen Weltflucht in die Realität zurückgezwungen fühlte, musste ich ein bis zwei Stunden schlafen. Es gelang mit damals nur so, mich wieder mit dieser Realität zu versöhnen, in die ich nach dem literarischen Abdriften extrem widerwillig zurückkehren musste. Während andere Jugendliche sich fertig für Abendparties machten, um wieder mit dem anderen Geschlecht in Berührung zu kommen, war ich am Samstag meistens am Erholen von der mühsamen Rückkehr in diese Realität.

Auf jeden Fall waren mir Perry, Bully, Crest, Thora, die diversen Mutanten und Gucky bald der emotionale Familienersatz in der damals mir unklaren, langweiligen Lebensphase. Es gab damals ja auch schon Science-Fiction Romane, auch Star Trek mit dem Kirk gab's schon. Star Trek war mir nur als TV Serie bekannt. Und wie wohl jeder Phantasiebegabte weiss, ist nur die selbst vorgestellte, im Kopf ablaufende Bildergeschichte die wahre Sache. Bilder vorgesetzt zu bekommen, kann einem die gesamte Illusion rauben. Passt der Charakter nicht in meine geistige Ausgestaltung dessen, so ist das schon ein Frust. Bei mir zumindest.

In der Pubertät war ich zudem schon enorm informiert über Kernphysik, Astronomie, Kosmologie, so dass mich andere Science-Fiction Serien, auch Mondbasis Alpha-1 oder Galactica, eigentlich enttäuschten. Die hatten alle Fehler in der realistischen Umsetzung meines damaligen Wissens über die erwähnten Gebiete. Oder sie waren einfach rückständig in der Technik relativ zu der in den PR-Romanen vorkommenden Technologie. Klar, die Filme mussten ja ins TV, da konnte man nicht einfach im Weltall fliegende Schiffe physikalisch korrekt beleuchtet zeigen. Raumschiffe in Star Trek, Alpha-1, Galactica, StarWars hatten immer rund herum hellste Sonnenpracht. Und sie alle machten Lärm – und das im luftlosen All! Nur mein anderer Kultfilm, Odyssee 2001, machte das in meiner damaligen Sicht richtig. Bei PR gab's und gibt's verschiedene Autoren, von denen welche sehr genau den damaligen Stand der Wissenschaft einfliessen liessen.

Ein weiterer Pluspunkt war, dass die PR-Serie eine Art Zeitzeuge war. Als ich in sie einstieg, begann sie für mich in meiner eigens erlebten Vergangenheit, denn ich erinnere mich an mein TV-Gucken der ersten Mondlandung. Wenn Perry also die Amis und die Russen und Chinesen zur Zusammenarbeit nötigen musste, so war das für mich keine weit entfernte Fantasie, sondern etwas, was ich mir für meine damalige Zeit gerne in der Realität gewünscht hätte: Ein Held, der diese Anspannung der nuklearen Bedrohung der machtpolitischen Polarisierung knacken konnte. Ein Held, der das politische Weltgeschehen wandelte und mit einer anderen, geeinten Menschheit zügig in die Zukunft schritt.

So verging meine Zeit im Gymnasium. Die Schule verlangte mir selten viel ab. Ok, Latein war immer Drill, da musste ich die Hausaufgaben auch wirklich machen. In allen anderen Fächern machte ich nur das Nötigste, es reichte ja auch immer. Samstags dann als erfreulicher Wochenabschluss das neue PR-Heft. Ich war damals ein recht verschlossener Mensch, meine Innenwelt war das Reisen im Weltall, das Entdecken, die Weite, die Galaxien, die Leere. Eine Freundin wie fast alle Jungs meiner Klasse hatte ich damals nicht. Und dass ich eben Mühe hatte, bemerkte ich bei dem einzigen Mädchen, das ich damals sehr gerne als Freundin gehabt hätte. Immerhin, meine Fähigkeit, vor allem auch mich selbst gut beobachten zu können, führte mich Jahre später dann zu dem, was mir heute auch noch wichtig ist und was ich vor allem in dieser Realität auch erleben kann. Den Raumflug in einem Raumer der Arkoniden werde ich ja nicht erleben können.

Übrigens etwas, was mich immer zutiefst frustrierte: Das Wissen, dass ich in diesem Körper in diesem Zeitalter den interstellaren Raumflug nie erleben werde. Dabei sehnte ich mich doch, all die Sonnensysteme zu sehen, die Perry schon sehr bald zu sehen bekam: die 25 Lichtjahre entfernte Wega oder den gar 25'000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen M13, aus dem die gestrandeten Ausserirdischen, die Arkoniden, stammten. Während die reale Raumfahrt mit Ach und Krach zum Mond vorstiess, StarTrek und andere in irgendwelchen Fantasiesystem spielten, war PR in meiner mir bekannten Welt am Wirken, nicht mit lahmen Kisten, sondern dank des Plots der Autoren mit der unfassbaren Technik der Arkoniden, die Schutzschirme, künstliche Gravitation, Überlichtfunk und Hyperraum-Sprünge und Lineartriebwerke, Transmitter und Transform-Kanonen kannte.

Wie sehr ich in diese Wunschwelt driftete und gern in ihr gelebt hätte, wurde mir klar, als ich 1986 an eine Zusammenkunft der PR-Fans nach Saarbrücken fuhr. Klar, alle hatten das Thema PR, aber mir wurde der Realitätsbruch bewusst: Alle waren immer noch menschlich, normal halt, drängelten sich, waren gestresst, immer noch nur normale Körper, brauchten profan Bier und Futter, mussten aufs Massenklo - keine Mutanten, keine Antigravitation, keine Geistesriesen, immer noch nur die Erde, wenig Platz - halt einfach nichts von alledem, das in meinem Kopfkino ablief, wenn ich in dieser PR-Welt war. Ich war zum ersten und letzten Mal an so einem Con.

Ich habe mir doch jetzt grad meinen Perry Rhodan Weltraumatlas Band 1 hervorholen müssen ... die reine Nostalgie, sogar Wehmut kommt auf. Wehmut an die Intensität meines Kopfkinos, meiner Vorstellungskraft, aber auch die Gewalt meines niederschmetternden Fernwehs, das mich beim Anblick von Bildern von Galaxien aus dem hervorragenden Bildband Galaxien von Timothy Ferris regelmässig erfasste. Meine Mutter schenkte es mir. Sie spürte sehr wohl und noch vor mir, dass ich mich in eine andere Welt wünschte. Dieses grossformatige Buch blieb für lange Zeit eines der wichtigsten für mich. Vor allem der (zu lange) Anblick von Andromeda liess mich lange Jahre regelmässig und völlig unerklärlich in Tränen ausbrechen.

Ich las dann also während meiner ganzen Gymnasiumszeit PR. Als die Figur des Atlan auftauchte, hatte ich eigentlich meine Identifikationsfigur gefunden, der dann später sogar eine eigene Roman-Serie gewidmet wurde, die ich parallel zu PR las.

Aufgrund einer temporären Lieferunfähigkeit des Kiosk gab es dann zu einer Zäsur, denn ich wollte das Lieferloch erst füllen, bevor ich weiterlas. Ich lies mir die Romane aufgrund des Kioskproblems mittlerweile direkt zusenden. Doch diese selbst verordnete Pause wurde dann immer länger, ich konnte mich aus der Serie lösen. Nicht, dass ich das bewusst gemacht hätte, es ergab sich. Und es war gut so, denn ich musste irgendwie den Weg als Erwachsener in dieser Realität finden. Es scheint gelungen zu sein, denn obwohl die gelieferten noch ungeöffneten Romane sich im Keller stapelten, hatte ich nie mehr ein richtiges Verlangen, sie zu lesen.

Das alles geschah vor bald 20 Jahren in meinem Leben. Als ich heute realisierte, dass PR 50 wird, schaute ich, was so kommt für einen Blog-Artikel. Ich sehe auf Wikipedia, dass es wirklich eine lange Zeit schon her ist. Viele Autoren sind schon lange gegangen. Autoren, denen ich noch begegnet bin, um die ich weinte, als ich von ihrem Tod erfuhr. Dennoch: Ich bemerkte, dass PR für mich schon wichtig war und auch grösser und vielleicht anders als die Ideen der einzelnen Autoren. Es war für mich der Zufluchtsort, das utopische Ziel meines gewünschten Lebens. Später wurde ich dann doch noch Fan von StarTrek, aber erst, als Jean-Luc Picard das Zepter führte. Und Deep Space 9 wurde zu meinem Lieblingsableger der StarTrek-Sage. Andere Science-Fiction habe ich gesehen und gelesen, aber gegen das PR-Universum in meinem Kopf hatte andere Serie keine Chance. Auch StarTrek nicht, denn die erleb(t)e ich als Filme. Und die sind nie so perfekt wie das Kopfkino.

Hmmm, eine nahrhafte Sache. Ich hätte es wissen müssen, dass es „etwas mehr" wird ...

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