Einsicht, Abstand halten, nicht einmischen, geschehen lassen (können)

Heute war bei Lanz' Talkshow eine sehr interessante Diskussion, in der Ferdinand von Schirach, seines Zeichens Schriftsteller und Strafverteidiger, anwesend war. Es kam zur Diskussion, ob man angesichts der ISIS Bedrohung den Kurden Waffen schicken soll oder nicht. Er sagte, dass es aus Prinzip nicht geschehen dürfe, auch wenn er keine andere Lösung kenne. Eine seiner Aussagen ist, dass der Terrorismus über die Demokratien unserer Art entscheiden würde.

Seine Ausführungen waren dann in der Basis folgendermassen: Unsere Demokratie ist ein Gebäufe von Verhaltensprinzipien, die wir in Verfassungen deponieren und als höchste und hehrste Ziele anschauen. Unsere Gerichte sollen diesen Zielen folgen und in Streitfällen danach Recht sprechen. Wir als humanistisch geprägte Europäer folgen diesen Prinzipien immer (noch).

Er brachte das Beispiel: Wenn man wisse, dass ein Terrorist in Hamburg eine Zeitbombe deponiert habe, und man ihn gefangen hätte und der nichts sagen will, würde man ihn foltern? Selbst wenn man dies dann täte, und es stellte sich heraus, dass der Terrorist abgehärtet ist und nichts verrät, würde man dessen Tochter hernehmen und sie foltern, um ihn zum Sprechen zu bringen?

Oder etwas Humoristischer: Dank unserer Prinzipien kann man gefahrlos zum Arzt gehen, denn: Man stelle sich vor, man selbst kommt mit einem relativ harmlosen Husten in ein Wartezimmer, drei Patienten schon da, alle sehr akut krank. Einer hat Leukämie, der andere Gelbsucht, der dritte versagende Nieren. Würde der Arzt nicht nach Prinzipien handeln, könnt er einen grad packen, anästhesieren und ausnehmen, um den einen für die drei zu opfern. Was für ein Glück haben wir ...

Das Dilemma ist nicht neu und es wird immer wieder mal abgehandelt, auch in Unterhaltungsserien wie Star Trek. Dort kennen gerade die Vulkanier den Text "Das Wohl der Mehreren ist wichtiger als das Wohl des einzelnen". Darüber stolpern die Erdlinge dann regelmässig, weil sie sich dieser Mathematik oder zwingenden Logik nicht ergeben wollen, wenn es mal darum geht, eine Person zu opfern, um vermutlich mehrere zu retten.

Dies ist genau das Thema. Was kann mensch tun, wird er so einer Situation wie mit der ISIS gewahr? Schirach sagte, dass man die Waffen nicht zurückholen können werde, wenn man sie jetzt den Kurden lieferte - unter dem Vorwand des Kampfes gegen eine echte grosse Bedrohung. Denn wenn sich dort die Verhältnisse drehen, haben dann eventuell grad die Leute diese modernen Waffen in Händen, gegen die sie eigentlich hätten eingesetzt werden sollen. Dass dies so passiert, wurde ja schon in Syrien und anderswo bewiesen. Gerade Schweizer Handgranaten sind bei den Saudis mal aufgetaucht etc. etc.

Dass man den Weg der Waffen nicht kontrollieren kann, ist also eigentlich bewiesen. Selbst mangels anderer Lösungen sagt Schirach, man solle nichts liefern, damit man eben die Prinzipien erhalten könne. Denn wenn man nur für ein einziges Mal halt doch foltere - und eben das Wohl der Mehrheit über das des einen setze -, dann bleibt es nicht dabei. Es ist halt der Sündenfall. Schirach sagte, dass auch gerade die Amis, die auch eine moderne Verfassung haben, diesen Sündenfall schon unzählige Male begangen haben, sehr unrühmlich dabei Guantanamo.

Was bleibt denn da? Zuschauen und sich nicht einmischen. In den Star Trek Serien ab TNG gibt es die oberste Direktive des "Nicht einmischen". Uns Menschen fällt das offenbar einfach schwer, weil wir alle meinen, wir würden Einfluss nehmen können. Und wohl weil wir meinen, dass gerade wir selbst genau wüssten, wie etwas gelöst werden müsste.

Wer in seiner eigenen Geschichte schon einmal in der schonungslosen und ehrlichen Rückschau erkannt hat, dass er sich aber sowas von geirrt hatte, dennoch damals absolut überzeugt von der Richtigkeit gewesen war, der weiss, was ich hier meine.

In der aktuellen Zeit ist Aktionismus eher akzeptiert als Zurückhaltung. Die aktuelle Beschleunigung des scheinbaren Lebens scheint das so zu wollen. Ich persönlich war immer schon eher behäbig, obwohl früher sehr impulsiv. Wahrscheinlich bin ich beides immer noch. Dennoch ist entspricht es jetzt meiner Einsicht, dass man sich wirklich nicht einmischen sollte. Nur, wenn ich das so sage, meine ich natürlich auch, dass man sich auch dann nicht einmissen sollte, wenn man Geld verdienen kann. Nicht Einmischen heisst auch, dass man sich auch dann fernhält, wenn es einem Freude macht, nicht nur dann, wenn es übel ist. Es gibt kein Rosinenpicken. Oder wenn man sich doch nicht zurückhalten kann, so gilt der Satz, wer A sagt, muss auch B sagen. A haben wir alle schon zu oft gesagt, drum blüht uns halt nun das B. In der Schweiz ist es ja auf nationaler Ebene auch so: Sollen wir unsere politische Neutralität aufgeben? Die Frage ist wohl nur deshalb so knackikg, weil die Schweiz schon zu oft A gesagt hat und sich nun windet, irgendein B zu sagen.

Ist es eventuell die Lernaufgabe des Menschen, auszuhalten, was er sieht, ohne sich einzumischen? Weil das Leben eine umfassendere Struktur ist als die Einzelmasken? Können wir aushalten zu sehen, was im Irak derzeit geschieht? Können wir dieser Region erlauben, das zu machen, was sie eh machen wird, ob wir es nun beeinflussen könnten oder nicht? Oder haben wir Angst davor, im eigenen Haus die Struktur zu verlieren?

Klar haben wir die, denn wie Schirach sagte, der Terrorismus entscheidet über unsere Demokratien. Wissen wir doch, dass in unseren Demokratien auch nicht alles so funktioniert, wie es den Prinzipien entsprechend sein sollte. Unsere mühsam seit vielleicht grad mal 250 Jahren mehrheitlich unterstützten humanistischen Prinzipien stehen eventuell immer noch auf tönernen Füssen. Weil sie vielleicht nicht auf Einsicht, sondern als minimaler Common Sense etabliert wurden.

Einsicht ist sowieso eine rarere Resource als das seltenste chemische Element: Am selben Abend kam zuvor noch Harald Leschs Sendung, in der er über die Effekte der Klimaerwärmung ausführt, und dass man bereits eine minimale Abnahme des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre feststellen könne, weil die Masse des Phytoplanktons, der in den Ozenanen gut 50% des Sauerstoffs herstellt, spürbar abnehme, weil ... weil ... weil ... - eine ganze Kette von Zusammenhängen, die die Wissenschaft erkennen konnte. Die aber mangels Einsicht von uns allen geflissentlich ignoriert werden. Im Rahmen dieser Argumentation verkündete er Meinungen, dass bis 2050 das Ende der bekannten Fischerei erreicht sei, weil es aufgrund der Klimaerwärmung in den Ozeanen derartige Umwälzungen gebe, dass ... und dass ... weil .... weil ...

Für mich war dieser Abend heute wieder mal etwas zu viel, als dass ich es einfach so beobachten konnte. Drum schrieb ich diesen Artikel. Weil es mich oft halt einfach ankackt, wie ignorant die allermeisten Menschen sind. Dabei sind wir Europäer alle im Geiste eines erzogen worden, der da sagte "Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun". Ich habe jedoch die düstere Ahnung, dass da kein Herr ist, der die Physik für uns Deppen ändern wird ...

So bleibt uns halt die unedelste aller Lernmethoden: das Erleiden.

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